„Der inzwischen für alle Bundesländer vorbildliche „Tierschutzplan Niedersachsen“ hat im Oktober 2010 einen entscheidenden Anstoß für die in den vergangenen Jahren erreichten Tierwohl-Fortschritte gegeben „so der Vorsitzende des Landesverbandes der Nieders. Geflügelwirtschaft (NGW) Friedrich-Otto Ripke. Wissenschaft und Praxis – immer dabei in den Geflügel-Arbeitsgruppen auch zahlreiche erfahrene und kompetente NGW-Mitglieder – haben die gesteckten Tierschutz-Ziele gemeinsam erreicht. Der Verzicht auf die Schnabelbehandlung bei Legehennen, die standardisierte Erfassung der Fußballengesundheit bei Masthühnern, die Vereinbarung zur Entenhaltung mit Wasserangebot und die jüngsten Leitlinien für die Junghennenhaltung seien beispielhaft genannt und zeigen, dass die Geflügelwirtschaft engagiert und innovativ an der praktischen Realisierung der Tierschutz-Ziele gearbeitet hat.
„Wir haben geliefert! Wir haben auch investiert und jeder Tierhalter muss im täglichen Betrieb aktuell deutlich höheren Zeitaufwand und höhere Sachkosten in Kauf nehmen“ stellt Ripke heraus. In gleichem Maße gestiegene Erzeugerpreise für unsere ca. 1.500 Mitgliedsbetriebe gibt es bis heute nicht. Das ist existenzgefährdend für niedersächsische Nutztierhalter und hat aktuell ein überdurchschnittliches Höfesterben zur Folge. Dabei sind insbesondere kleinere Betriebe zuerst betroffen. Ripke bringt es auf den Punkt: „ Es nützt weder uns noch der Politik und unserem Heimatland Niedersachsen etwas, wenn wir im Tierschutz Spitze, aber im marktwirtschaftlichen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig sind! Es nützt weder dem starken Ernährungsgewerbe in Niedersachsen mit über 6 Mrd. € Jahresumsatz und mehr als 15.000 Arbeitsplätzen, noch der positiven Entwicklung unserer ländlichen Regionen! Es nützt aber entscheidend den nach wie vor auf Gewinn und höhere Marktanteile ausgerichteten Ländern mit weiterhin ungebremst zunehmender Geflügelproduktion wie z.B. Polen, Ukraine und Brasilien. Tierschutzkosten spielen dort eine un-tergeordnete Rolle und entsprechend sind die Tierschutz-Standards.“ Diese Billigprodukte gelangen in Deutschland verbreitet in die Verarbeitung und können in Form von z.B. Nudeln, Keksen oder Wurst vom Verbraucher als solche nicht mehr erkannt werden. Abhilfe kann nur eine Herkunftskennzeichnung schaffen, die die Geflügelwirtschaft seit Jahren fordert.
„Wenn die Politik mehr Tierschutz in Deutschland will, muss sie auch den weiteren Rahmen dafür gestalten. Sie muss ihren Entscheidungen faktenbasierte Folgeabschätzungen vorausstellen und sich nicht von postfaktischen Idealvorstellungen leiten lassen!“ mahnt Ripke.
Ein einheitlicher Tierschutz-Rechtsrahmen für EU- und/oder weltweite Standards ist nicht einmal mittelfristig in Sicht. Gerade hat z.B. Kanada verkündet, dass man ab 2030 auf die Schnabelbehandlung bei Legehennen verzichten möchte. Diesbezüglich ist die deutsche Bundesregierung gefordert, penetrant in allen relevanten Gremien harte Harmonisierungsforderungen zu stellen, vor allem in den Verhandlungen zu Freihandelsabkommen.
„Eine in 2016 veröffentlichte Studie von Handelsblatt-Research-Institute über die Tierwohl-Standards in den 16 nutztierhaltungsstärksten Ländern der Welt bestätigt unsere Spitzenposition, unsere zukünftige Existenz sichert sie damit nicht!“ beschreibt Ripke die widersprüchliche Situation. Wenn Niedersachsen und Deutschland Trendsetter beim Tierwohl sein und bleiben wollen, müssen logisch und zwangsläufig auch die tierhaltenden Betriebe bleiben. Sie müssen neue tier-wohlfördernde und die Emissionsverhältnisse verbessernde Ställe bauen dürfen und den potentiellen Hofnachfolgern eine positive Perspektive geben. Gerade haben sich rund 50 junge, top ausgebildete, tierwohlaffine und der Zukunft zugewandte Menschen in der „Jungen NGW“ organisiert. Sie wollen engagiert Öffentlichkeitsarbeit für ihre Höfe, Unternehmen und Tierarztpraxen betreiben und diese eines Tages nach Möglichkeit übernehmen. Möglich wird das nur sein, wenn neben der persönlichen Sachüberzeugung auch die finanziellen Grundlagen stimmen. Agrarwende-Ideologien und Illusionen, dass kleine und Biobetriebe die Zukunft seien und die Zukunft der Hö-fe sichern könnten, überzeugen diesbezüglich nicht. Die Fakten belegen im Übrigen auch, dass die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung damit nicht gewährleistet werden könnte. Zunehmende Importe aus tierwohlärmeren Ländern wären die Folge.
Nötig ist vielmehr ein Realismus-Bündnis mit der Politik und über die gesamte Wertschöpfungs-kette hinweg. Tierhalter, Verarbeiter, Vermarkter, Lebensmitteleinzelhandel, Großverbraucher und Verbraucher sind letztendlich gefordert, Produkte mit dem Mehrwert Tierwohl einerseits zu produzieren und andererseits mit einem Mehrwert- bzw. Tierwohl-Aufschlag oder einer Tierwohlabgabe zu bezahlen.
Die vor 3 Jahren wirtschaftsseitig ergriffene Initiative in Form einer zwischen Teilen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) und Fleischerzeugern getroffenen und gerade bis Ende 2020 verlängerten Branchenvereinbarung (ITW) ist ein erster positiver Lösungsansatz. Für geringere Besatzdichten in ihren Ställen und weitere tierwohlfördernde Auflagen sowie ab Frühjahr 2018 bei unverarbeitetem frischem oder gefrorenem Geflügel für die Nämlichkeit, bekommen die mitmachenden Betriebe einen Tierwohlaufschlag zu ihrem Erzeugerpreis. Dieser wird aus einem Tierwohlfonds bezahlt, in den die Unternehmen des LEH einzahlen. Ein Problem dabei war, dass nicht alle interessierten Tierhalter mitmachen konnten und der Tierwohlaufschlag die Mehrkosten nur etwa zur Hälfte deckte. Ein anderes ist, dass sich nicht alle Unternehmen des LEH und überhaupt keine Großverbraucher, die rund 50 % des Fleischverbrauches ausmachen, an der ITW beteiligt haben.
Wenn sich die ITW über 2020 hinaus etablieren soll, muss sich dies ändern. Möglicherweise kann sich die ITW auch weiterentwickeln und in ein staatliches von Minister Schmidt angekündigtes Tierwohl-Label übergehen. „Die Geflügelwirtschaft steht dazu in konstruktiven Verhandlungen mit der Bundesregierung, die sinnvollerweise erst nach der Bundestagswahl im Herbst fortgeführt werden. Der ITW-Standard für die Tierhalter als Label-Einstiegsstufe, ein Tierwohlfonds mit höherer Einzahlungsbreite, die Herkunftskennzeichnung sowie die Beteiligung des Handels bleiben dabei unsere Kernforderungen“ so Ripke, der auch ZDG-Präsident und in dieser Funktion Verhandlungsführer ist.
Das Ganze sollte eingebettet werden in eine Nationale Nutztierhaltungsstrategie, die Kontinuität und Planungssicherheit über mindestens ein Jahrzehnt garantiert. Mit dem Untertitel „Zukunftsfähige Tierhaltung in Deutschland“ hat Bundesminister Schmidt vor wenigen Tagen die erste Fassung veröffentlicht. „Sie ist ein notwendiger und guter Anfang, reicht aber in der vorliegenden Form auf dem Weg zum Ziel nicht aus. Die nationale Strategie muss Fundament und Statik des einheitlichen deutschen Tierwohl-Fortschrittes sein und helfen, den politischen Tierwohl-Wettlauf der Bundesländer zu beenden. Die Strategie muss aber auch dem in der aktuellen öffentlichen Meinung und im Markt schwächsten Glied in der Wertschöpfungskette, den Tierhaltern, die ökonomische Zukunft sichern. An dieser Stelle bleibt das Papier zu vage und damit hinter den Erfordernissen zurück“ bewertet Ripke.
„Wir haben geliefert! Wir haben den Tierschutzplan Niedersachsen erfüllt und werden kontinuierlich und engagiert an weiteren Tierwohl-Fortschritten arbeiten. Wir werden weiter in Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz investieren. Politik, Handel und Verbraucher sind gefordert, uns dabei aktiv zu helfen und für tierwohlkostendeckende Erzeugerpreise zu sorgen – und zwar kurzfristig und belastbar und nicht eventuell in mittelfristiger Zukunft“ so Ripkes Gesamtfazit. „Wer Tierwohl-Fortschritt will, muss auch die Betriebe zukunftssicher machen, die ihn praktizieren können und wollen. Die gibt es hier und nicht in der großen weiten Welt!“ fordert Ripke die notwendige Konsequenz ein.